Die Zukunft des digitalisierten Lehrens und Lernens – SPiRIT organisiert internationale Konferenzen in Magdeburg

Vom 23. bis 27. September 2019 verwandelte sich das Hörsaalgebäude der Hochschule Magdeburg-Stendal in ein internationales Konferenzzentrum. Ingenieurwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus aller Welt tauschten ihre aktuellen Forschungsergebnisse zu Bildungstechnologien aus.

Zwei aufeinanderfolgende internationale Konferenzen, ein Symposium und zahlreiche Workshops wurden von internationalen Teams ausgerichtet, in diesem Jahr wissenschaftlich und organisatorisch geleitet von Prof. Michael A. Herzog. Die SPiRIT-Forschungsgruppe unter der Leitung von Leonore Franz und Veronika Weiß zündete ein Feuerwerk an Ideen und Formaten, um den Gästen auf dem Magdeburger Universitätscampus eine kreative, anregende und persönliche Atmosphäre zu bieten, in der neue Technologien, Ideen, Methoden und Sichtweisen nicht nur präsentiert, sondern auch über die Grenzen von Hörsälen und Seminarräumen hinaus konstruktiv diskutiert und weiterentwickelt werden konnten.

Am Montag, den 23. September, startete die „18th International Conference on Web-Based Learning – ICWL“ zusammen mit dem „4th International Symposium on Emerging Technologies for Education – SETE“, die sich beide mit Forschungsergebnissen zum technologiegestützten Lernen und zukünftigen Bildungstechnologien befassen. Thematisch damit verbunden fand ab dem 26. September die „18th International Conference on Information Technology Based Higher Education and Training – ITHET“ statt, deren Schwerpunkt auf der digitalen Hochschullehre im Bereich der Ingenieurwissenschaften liegt.

Über 200 internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 36 Ländern reisten zu den Konferenzen auf unseren Campus. Renommierte Keynote-Speaker präsentierten ihre Forschungsergebnisse und Visionen zu den Themen Maschinelles Lernen, Analyse von Lerndaten, kollaboratives virtuelles Lernen und Absolventenkompetenzen der Zukunft. Besonders lebhaft wurde darüber diskutiert, wie sich die Universität als Institution weiterentwickeln sollte: Weg von der synchronen Lehre für alle, hin zum individuellen, forschungsorientierten Lernen; Förderung der spezialisierten, problemorientierten Ausbildung sowie Durchsetzung der unverzichtbaren Vernetzung von Disziplinen und Fachkompetenzen bereits in der Grundausbildung.

Amelie Ries sprach mit Prof. Herzog über sein Resümee des Konferenzmarathons.

Welche Fortschritte aus den Laboren dieser Welt, die in den letzten Tagen gezeigt wurden, haben Sie besonders berührt?
„Die Fortschritte der Künstlichen Intelligenz und der Methoden der Datenanalyse, die vielen Verbesserungen der digitalen Kooperation in den Lernteams, aber auch die Möglichkeiten des individualisierten Lernens in virtuellen Erlebniswelten haben sich in ihrer Kombination überraschend schnell entwickelt. Sie geben uns schon heute einige neue Mittel in die Hand, unsere Lehr- und Lernkulturen den aktuellen Herausforderungen anzupassen.“

Was konkret haben Sie da in Erinnerung?
„Wir sehen z.B., wie eine Kombination aus intelligenten Chatbots und Mixed Reality neue Formen des angeleiteten Lernens durch Roboter oder Avatare ermöglicht. Der virtuelle, intelligente Tutor wurde als technisch machbar gezeigt. Die Frage ist also nur noch, wie intelligent solch ein virtueller, individueller Lehrer auf absehbare Zeit sein kann. Frage-Antwort Funktionen kennen wir alle von Alexa & Co. Das funktioniert wie eine Suchmaschine mit Sprachfunktion.“

Aber kann solch ein Roboter-Lehrer mehr als Fragen beantworten und Inhalte bereitstellen? Kann er uns anleiten und inspirieren?
„Anleiten und Antreiben kann er uns auf jeden Fall, denn er gewinnt aus den Daten, die er über uns erfasst,¬ den Lernfortschritt bei bestimmten Aufgaben, erkennt unsere Emotionen über die Kamera, wertet unsere Blickbewegungen oder unsere Ortsveränderungen aus. Daraus ermittelt er aus bereits bekannten Mustern, was die passenden nächsten Schritte für uns Lernende sein können. Er kann uns Angebote machen oder auch spielerisch motivieren, wie das ja schon Computerspiele tun. Er kann uns natürlich auch Aufgaben geben und zu einem Ziel führen.“

Und wo bleibt die Inspiration, die uns Menschen auf neue Wege bringen und motivieren?
„Echte Inspiration von einem Roboter zu bekommen ist derzeit eher noch nicht greifbar. Wie soll ein Roboter uns kreativ beflügeln? Woraus leitet er das ab? Dafür wird es sehr schwer, Trainingsdaten zu erzeugen. Wenn wir das Ganze umdrehen und den Lerner als Avatar betrachten, sieht das schon wieder anders aus. Mich hat auf der Konferenz besonders das Beispiel von Kavita beeindruckt. Obwohl sie krankheitsbedingt an ihre häusliche Umgebung gefesselt ist, hat ihr die reine Telepräsenz über einen Roboter die Bewegungsfreiheit ermöglicht, ein Universitätsstudium und einen Doktorabschluss in der Informatik zu erreichen. So ein Beispiel ist auch enormer Ansporn für uns Entwickler.“

Was bedeutet die Verfügbarkeit dieser Technik für die Weiterentwicklung der Lehre an Schulen und Hochschulen?
„Tatsächlich wird von Studierenden heute in vielen Bereichen immer noch viel Faktenwissen verlangt, obwohl qualitätsgesichertes Wissen technisch längst innerhalb von Sekunden überall verfügbar ist. Wenn die intelligenten Maschinen heute schon bessere, individuellere Lernerlebnisse zur Kompetenzentwicklung schaffen, als es ein Lehrer vor einer heterogenen Klasse zu leisten vermag, warum ändern wir nicht die Rolle des Lehrers als Moderator von Lernprozessen? Warum verstehen sich Lehrende noch nicht überall auch als Entwickler sozialer Kompetenzen, als Förderer von Teamfähigkeiten, als Coach für die Persönlichkeitsentwicklung, als Inspirator für echte Bildungserlebnisse? Die Bildungstechnologien liefern uns viele neue Möglichkeiten, Barrieren zwischen Disziplinen und Orten zu überwinden: Interdisziplinäre, raumübergreifende Zusammenarbeit trainieren, komplexe fachübergreifende Fortschritte über Gestaltungsmethoden, Technikverständnis und Werkzeugnutzung zu erzielen – das alles können Bildungstechnologien immer besser befördern, wie die Beiträge der Forscher und Entwickler eindrucksvoll gezeigt haben.“

Müsste diese kulturelle Änderung nicht auch durch eine universitäre Einrichtung strukturell unterstützt werden? Beispielsweise mit interdisziplinären Studienprogrammen und fachgebietsübergreifender Forschung?
„Neue Studienprogramme, wo Methodenwissen, Kritik- und Diskursfähigkeit, fachliche, technische und soziale Kompetenzen, sowie die verbindenden Gestaltungstechniken im Mittelpunkt stehen, sind längst überfällig und werden gerade in den USA und Kanada derzeit stark gefördert. Ein schönes Beispiel der strategischen Neuausrichtung einer Hochschule hat uns Janusz Kozinski mit der Brock University demonstriert. Hier werden nur noch interdisziplinäre Studienangebote aufgelegt, beispielsweise ein gestaltungsorientiertes, personalisierbares Studium „Sciences“, woraus sich ganz verschiedene Karrierewege entwickeln lassen. Wir haben neue interdisziplinäre Studienprogramme in den Ingenieurwissenschaften gesehen, etwa an der University of Maryland, wo Keith Bowman uns mit der Begleitforschung – etwa zum Teambuilding – konfrontiert hat. Assistiertes, inklusives Lernen mit Technikunterstützung hat echte disruptive Potentiale. In Zeiten des demografischen Wandels und sinkender Studierendenzahlen sehe ich gute Differenzierungsmöglichkeiten mit individualisierbaren, interdisziplinären Angeboten, frei nach dem Motto „Build your own Menu“.

Wie kann ein Lehrender an unserer Hochschule auf diese Entwicklung reagieren?
„Auch unsere Unternehmen brauchen von unseren Absolventen mehr universelles Verständnis über Herangehensweisen, Werkzeuge und soziale Interaktion, um den Einsatz der schnell veränderlichen Technologien zügiger in die Anwendung zu bringen. Wir wollen und müssen schneller zur Lösung unserer großen gesellschaftlichen Herausforderungen kommen. Jeder von uns, ob Lehrender, Mitarbeiter, Student und Schüler möchte und kann dazu nach seinen Fähigkeiten beitragen. Das erfordert ständige Weiterentwicklung für jeden von uns. Die Individualisierung des Lernens, das lebenslange Erschließen neuer Kompetenzen und Fertigkeiten unterstützen Bildungstechnologien wirksamer als je zuvor. Es lohnt sich also für jeden Lehrenden und Lernenden, sich das genauer anzusehen, für seinen Kontext zu nutzen und seine eigenen Konzepte zu hinterfragen. Die Digitalisierung der Lehre kann auch die Zusammenarbeit von Lehrenden und das gemeinsame Streben nach den besten Konzepten befördern. Diese neue Lehr- und Lernkultur gemeinsam und interdisziplinär voranzutreiben, das kann ich aus eigener Erfahrung sagen, gibt jede Menge Inspiration und macht enorm Spaß!“

Die inhaltliche Zusammenfassungen der Beiträge, Aufzeichnungen der Hauptvorträge, sowie Fotos von den Konferenzen finden Sie auf der ICWL- und der ITHET-Website.